Der Mythos (von Sisyphus) vom Seilersee

25.Juli 2024DEL

Das Eis der vergangenen Saison ist in der altehrwürdigen Eissporthalle am Seilersee (Balver-Zinn-Arena) längst geschmolzen, und das neue Eis kämpft bereits gegen die sommerlichen Temperaturen. Bevor die Saison 2024/2025 beginnt, lohnt sich ein Blick zurück auf eine bemerkenswerte Saison der Iserlohn Roosters. Denn diese Saison hat nachgewirkt und könnte irgendwann einmal sogar als Zeitenwende betrachtet werden.

Vor etwa einem Jahr kehrte der damalige Headcoach Greg Poss nach der Sommerpause an den Seilersee zurück. Einige Beobachter bemerkten, dass die anfängliche Leichtigkeit einer gewissen Verbissenheit gewichen war. Der Kader wurde zudem anhand definierter Spielertypen zusammengestellt (“Boxen”), was später dazu führte, dass viele ähnliche Spielertypen auf dem Eis standen – nicht immer ein Vorteil. Zu Beginn der Saison ging es erneut ins Trainingslager nach Österreich, wo sich der Eindruck verfestigte, dass dies deutlich freudloser als in den Jahren zuvor durchgeführt wurde, vielleicht ein Stück zu sehr. Andererseits war von Anfang an klar, dass die Mannschaft charakterlich gut zusammenpasst und sich schnell zu einer eingeschworenen Einheit entwickelte.

Die Saison begann mit einem knappen Auswärtssieg in Frankfurt. Die Euphorie war groß, die Hoffnung auf eine gute DEL-Saison wurde genährt. Doch es kam anders. Im folgenden Heimspiel gegen Schwenningen setzte es eine herbe Niederlage (2:7), die alles veränderte. 

Der Ton an der Bande wurde rauer, die Mannschaft auf dem Eis unsicherer. Es folgten zehn Niederlagen in elf Spielen, einige davon vernichtend. Gegen die Eisbären Berlin (2:8) stand es nach neun Minuten bereits 0:4, das erste Derby der Saison gegen Köln endete mit 3:6. Am Ende dieser furchtbaren Serie musste Poss am 21.10.2023 seinen Hut nehmen.

Das anspruchsvolle Spielsystem konnte nicht immer umgesetzt werden, und schnell fehlte das Selbstvertrauen. Die junge, schnelle Mannschaft konnte in puncto Robustheit nicht immer mit allen Abwehrreihen der DEL-Konkurrenz mithalten. So nahm das Unglück seinen Lauf.

Greg Poss galt in Iserlohn als unantastbar, Teile der Fans machten inzwischen Manager Christian Hommel für alles sportliche Leidverantwortlich.

 

Sicherlich hatte auch er seinen Anteil an der sportlichen Talfahrt, aber auch an etlichen tollen Verpflichtungen der letzten Jahre, wie z.B. Grenier, Whitney, Labrie, Boland, Ukbekile- um nur einige zu nennen. Das sollte fairerweise nicht unterschlagen werden.

Die Mannschaft war tragischerweise gerade auch in den Heimspielen weitgehend chancenlos, und Hommel wurde auf den Rängen zum Thema Nummer eins. Als dies auch in den privaten Bereich übergriff, zogen Hommel und die Organisation die Reißleine, und er trat am 09.11.2023 inklusive einer berührenden Videobotschaft an die Fans zurück.

Nach einigen weitgehend erfolglosen Spielen unter Co-Trainer Beaulieu wurde am 13.11. Doug Shedden als neuer Headcoach vorgestellt. Ein bekanntes Gesicht, das vor allem in Ingolstadt beachtliche Erfolge vorzuweisen hatte. Dies sollte sich als absoluter Glücksgriff herausstellen und war vermutlich eine letzte gute Tat von Christian Hommel.

Die verunsicherte Mannschaft profitierte vom unaufgeregten, sicheren Auftreten von Shedden, der eine Art sportliche Vaterfigur darstellte. Er gab den Rahmen vor, in dem sich die Mannschaft frei bewegen konnte. Die Veränderung auf dem Eis war sofort spürbar, in den Ergebnissen allerdings noch nicht. 

Der Punkteabstand zum rettenden Ufer betrug im Schnitt deutlich mehr als zehn Punkte und gegen Weihnachten hatte wohl niemand mehr in Iserlohn Hoffnung auf ein positives Ende und die Vermeidung des Abstiegs in die DEL 2. 

Weitere Hiobsbotschaften kamen hinzu, so wurde gemunkelt, dass Leistungsträger Collin Ugbekile bereits bei der DEL-Konkurrenz unterschrieben hätte. Was sich zum Ende auch bewahrheiten sollte- aber auch dieser Tiefschlag wendete sich bekannterweise zum Guten und einer Vertragsverlängerung um einige Jahre.

Ein Lichtblick in der ersten Saisonhälfte war die Rückkehr von Taro Jentzsch, was ohne den geschiedenen sportlichen Leiter Christian Hommel wohl nicht möglich gewesen wäre.

Was mit dem Jahreswechsel passierte, ist auch für diese verrückte Sportart und ausgeglichene Liga kaum erklärbar und einzigartig. Die Roosters zeigten hingebungsvollen Kampf auf dem Eis, egal wie groß der Abstand zum rettenden Ufer auch war.

Erste Erfolge stellten sich ein, und die Konkurrenz aus Augsburg, Frankfurt oder Düsseldorf begann Nerven zu zeigen. Das Punktepolster schrumpfte von Woche zu Woche bis zum Showdown am Ende der Saison. 

Es kam zum Duell des Letzten aus Augsburg gegen den Vorletzten aus Iserlohn – für die einen die letzte Chance, den Abstieg zu verhindern, für die anderen die Chance, einen Riesenschritt in Richtung Klassenerhalt zu machen. In einem nervös geführten Spiel, das allein von der Spannung lebte, waren es am Ende Ugbekile und Boland, die in der Verlängerung den Sieg für die Sauerländer erzwangen. Dass es gerade diese Beiden waren kann man als Spiegelbild der Saison sehen. 

Auf dieser Welle schwebten die Roosters weiter. Im Vorletzten Spiel der Saison ging es nach Frankfurt, und die Saison endete, wie sie begonnen hatte: mit einem Auswärtssieg für die Roosters, die von hunderten Fans bei der Ankunft in Iserlohn gefeiert wurden, als hätten sie die Meisterschaft gewonnen. 

Wochen später stellte sich heraus, dass sportlich alles gar nicht so dramatisch existenzbedrohend war: Es fand sich kein Aufsteiger aus der DEL 2, und somit könnte man annehmen, der Mythos von Sisyphus hätte am Seilersee Einzug gehalten. Aber wie man sich “Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen muss”, muss man sich Iserlohn als nun glücklichen Standort vorstellen. Diese Saison war wichtig, mit all ihren Höhen und Tiefen. Es wurden mit der Gefahr des Abstiegs im Nacken viele richtige Entscheidungen getroffen, die sonst vielleicht nicht getroffen worden wären. 

Da wären z.B. die fällige Trennung verdienten Trainer, das Zusammenwachsen zwischen Fans und Mannschaft, das Bilden eines harten Kerns an Spielern, die zum Teil auch jetzt noch unter Vertrag stehen und eine Saison durchgemacht haben, die sie für ihr weiteres sportliches Leben prägen werden. Und natürlich Axel Müffeler, der nach Hommels Weggang behutsam in die sportliche Verantwortung geleitet wurde und sichtlich gut mit Headcoach Shedden harmoniert. Seinen Stuhl als Schnittstelle zum Nachwuchsbereich übernimmt mit Fischöder ein altbekannter Iserlohner mit herausstechender Erfahrung und Reputation- ein echter Glücksgriff!

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Auch eine neue und gesunde Art von Demut zog in die Eissporthalle ein. Jedem wurde noch einmal klar, dass es kein Naturgesetz ist, dass Iserlohn in der ersten Liga spielt. Und dass auch ein Klassenerhalt ein Grund zum Feiern sein kann. Man hat viel mit und voneinander gelernt am Seilersee und blickt nun gestärkt und erwartungsvoll in eine neue Saison. Insofern wäre es falsch zu sagen, dass der Erfolg durch den ausbleibenden Abstieg nur theoretischer Natur sei.

Bericht von: Patrick Rüberg | Foto: Patrick Rüberg

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